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Kontroverse Debatte: Grüne und SPD konnten sich nicht einigen – Der Rat diskutiert tödlichen Polizeieinsatz – aber nicht als Thema von besonderer Bedeutung

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Das Wandbild zeigt Mouhamed D.
Das Wandbild zeigt 16-jährigen Flüchtling Mouhamed Lamine Dramé, der von der Polizei in der Nordstadt erschossen wurde. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Der tragische Tod des suizidgefährdeten 16-jährigen Flüchtlings Mouhamed Lamine Dramé, der unter fragwürdigen Umständen durch Schüsse der Polizei starb, beschäftigte nach der Bezirksvertretung der Nordstadt nun auch den Dortmunder Stadtrat. Dort stehen planmäßig unter Punkt 2 „Angelegenheiten von besonderer Bedeutung und öffentlichem Interesse“ auf der Tagesordnung.  Doch der Tod des Jungen gehörte nicht dazu. Die Diskussion fand unter „TOP 10.9“ statt – der 75. Tagesordnungspunkt, selbst noch nach der Umbesetzung in Gremien des Rates. Daher fand sie beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt – was vielleicht auch besser war. Denn der Rat zeigte sich sehr gespalten. Die demokratischen Fraktionen konnten sich im Vorfeld auf kein gemeinsames Papier einigen – so dass konkurrierende Anträge von SPD und Grünen sowie die Resolution der Bezirksvertretung (Link am Ende) auf dem Tisch lagen.

Die Grünen fordern eine unabhängige Beschwerdestelle zur Polizeigewalt in Dortmund

Ingrid Reuter ist Fraktionssprecherin der Grünen-Ratsfraktion in Dortmund.
Ingrid Reuter ist Fraktionssprecherin der Grünen-Ratsfraktion in Dortmund. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Den Anfang macht Ingrid Reuter von der Fraktion 90/ Die Grünen: „Wir sind erschüttert darüber, dass am 8. August ein junger Mensch, der sich zu uns geflüchtet hat, der sich hier ein besseres Leben vorgestellt hat, bei seinem Polizeieinsatz erschossen wurde. Wir müssen alles dafür tun, dass so etwas nie wieder passieren kann und wir müssen alles dafür tun, dass sich alle Menschen in Dortmund sicher fühlen können.“

Die Grünen fordern den Polizeipräsidenten und den Innenminister auf, rassistische Einstellungen bei der Polizei noch entschiedener zu bekämpfen. Zudem möchten sie, dass alle Anstrengungen unternommen werden, damit das verlorene Vertrauen in die Polizei wiedergewonnen wird. Das Gesicht der Polizei müsse zudem vielfältiger werden, sagt Reuter. Die Polizei brauche mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in ihren Reihen.

Die Grünen fordern zudem eine unabhängige und niederschwellige Beschwerdestelle beim Land zu Polizeigewalt und dass die Stelle eines oder einer eigenen unabhängigen Antirassismus-Beauftragten in Dortmund eingerichtet wird. „Damit wollen wir betroffenen Menschen und ihrem Recht auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung das richtige Gewicht verschaffen“, sagt Reuter.

Die CDU will keine voreiligen Schlüsse oder Vorverurteilungen

Der kommissarische CDU-Vorsitzende Sascha Mader. Foto: Alex Völkel
Der CDU-Vorsitzende Sascha Mader. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Dortmunds CDU-Parteichef Sascha Mader – selbst im Hauptberuf Polizist – betont, dass auch die Polizei nicht unberührt von dem Tod des 16- Jährigen sei. „Da wir nichts über die Ergebnisse der Ermittlungen wissen und die Polizei durch die Staatsanwaltschaft beurteilt werden soll, unterstützt die CDU keine der vorliegenden Resolutionen.“

Die Diskussionen und Forderungen fand er falsch und hielt sie für verfrüht: „Wenn ich jetzt Arzt wäre würde ich sagen: Ohne eine Diagnose zu kennen, werden hier Lösungen favorisiert. Die sehen wir nicht“,so Mader.

Das BVT kritisiert den Vorstand des Integrationsrates

Emre Gülec sitzt für die BVT im Stadtrat.
Emre Gülec sitzt für das Bündnis für Vielfalt im Rat.

Das Bündnis für Vielfalt und Toleranz (BVT)  forderte, dass Polizist:innen für solche Fälle besser qualifiziert, die Einsatzvorschriften für Maschinenpistolen überarbeitet und der Einsatz von Bodycams vorgeschrieben werden müssten.

Außerdem sprach BVT-Vertreter Emre Gülec seinen Dank gegenüber Oberbürgermeister Thomas Westphal und Stadtdirektor Jörg Stüdemann aus. Diese hatten am 12. August 2022 am Totengebet für den verstorbenen Mouhamed Lamine Dramé teilgenommen.

Auch viele Mitglieder des Integrationsrates hatten daran teilgenommen, nicht aber der Vorsitzende des Integrationsrates und seine Stellvertreter:innen. Das kritisierte Gülec scharf: „Bis jetzt habe ich auch keine Stellungnahme vom Vorstand des Integrationsrates über diesen schrecklichen Vorfall gehört. Das bedauere ich als ein ehemaliges Integrationsratsmitglied und Vorstandsmitglied sehr“, so Gülec.

Für die FDP ist der Stadtrat der falschen Ort für die Debatte

Michael Kauch ist Fraktionsvorsitzender von FDP/ Bürgerliste im Rat der Stadt Dortmund Südwall 21-23 44137 Dortmund Tel. 0171-6419728 -- Fraktionsvorsitzender FDP/ Bürgerliste im Rat sowie FDP-Kreisvorsitzender.
Michael Kauch ist Fraktionsvorsitzender
von FDP/ Bürgerliste im Rat der Stadt Dortmund Foto: Sascha Menge für die FDP Dortmund

Michael Kauch von der Fraktion FDP/Bürgerliste machte deutlich, dass die Debatte um den Tod des Jungen Mouhamed D. nicht in der Sitzung des Rates gehalten werden sollte.

„Wenn man sagt, wir wollen das politisch aufarbeiten, dann stellt sich die Frage, welches denn das richtige Gremium ist. Die politische Kontrolle über die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat der Innenausschuss des Landtags. Die haben nämlich auch Zugang zu Informationen, die möglicherweise zunächst einmal intern sind“, so Kauch.

Deswegen plädierte er dafür, Resolutionen und politische Schlussfolgerungen, die  die NRW-Polizei beträfen, auf der Ebene des Landtags zu diskutieren. „Die Grünen, die hier auch Antragsteller sind, sind Teil der Landesregierung und können diese Fragen in Düsseldorf meiner Sicht nach viel seriöser diskutieren, als wir das hier in Dortmund können“, so Kauch.

Ratsmitglieder:innen sollen keine „einseitigen“ Schuldzuweisungen machen

Nach Kauch sei die Diskussion in einem Gremium der Mitglieder des Polizeibeirats besser aufgehoben, als in den Resolutionen des Rats.

Kauch wunderte sich zudem, warum noch keine Sondersitzung des Dortmunder Polizeibeirates stattgefunden hat – denn sie seien als Brücke zwischen Stadtgesellschaft und Sicherheitskräften zuständig. Auch die Mitglieder des Beirats könnten eine Sitzung einberufen – dafür müsse man nicht auf den Polizeipräsidenten warten.

Zudem kündigte er an, dass seine Fraktion keiner der beiden Resolutionen zustimmen könne: „Wir werden beiden Resolutionen nicht zustimmen, weil sie aus meiner Sicht an mehreren Stellen Annahmen machen, die wir nicht beweisen können.”

Abschließend richtet er sein Wort an die Mitglieder des Rates: „Von Mitgliedern dieses Rates erwarte ich, dass die einen Beitrag leisten zur Verständigung und nicht, Öl ins Feuer zu gießen, indem man einseitige Schuldzuweisungen macht.“

Die Linke+ kritisiert, dass es keine gemeinsame Resolution gab

Utz Kowalewski (Die Linke+)
Utz Kowalewski (Die Linke+) Archivfoto: Klaus Hartmann für Nordstadtblogger.de

Utz Kowalewski der Fraktion „Linke+“ stimmt zwar zu, dass die Aufarbeitung des Falles die Aufgabe der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und der Polizeibehörde in Recklinghausen sei. Doch wies er auch darauf hin, dass die Vorgehensweise der Polizei Misstrauen bei den Bürger:innen hervorgerufen hat.

„Wir werden heute die Resolution aus der Innenstadt Nord zum Antrag erheben. Das ist eine interfraktionelle Resolution, die ist dort mit großer Mehrheit abgestimmt worden. Da waren ,Die Grünen‘ dabei, da war ,Die Partei‘ dabei, da war die SPD dabei, da war die Linke dabei. Ich bedauere es sehr, dass es nicht gelungen ist, für diese Ratssitzung die interfraktionelle Resolution auf den Weg zu bringen. Das tut der Sache glaube ich nicht gut“, merkte Kowalewski an.

Er bat die Ratsmitglieder:innen darum, zumindest die Resolution der Nordstadt zu übernehmen, die er zu einem Antrag erhob. Das wäre allerdings nicht nötig gewesen – schließlich hatte die Bezirksvertretung ja die Resolution an den Rat geschickt. Dort wurde sie mit den Stimmen von Grünen, Linke+ und „Die Partei“ beschlossen – gegen CDU, FDP/Bürgerliste und AfD. Die SPD-Ratsfraktion enthielt sich, obwohl die Nordstadt-SPD selbst an der Resolution mitgearbeitet und einstimmig dafür votiert hatte.

Ratmehrheit für Resolutionen der BV Nord und den SPD-Antrag

Anna Spaenhoff (SPD)

Die SPD konnte der Resolution der Partei „die Grünen“ nicht in allen Punkten zustimmen. Daher bat Anna Spaenhoff (SPD) um Zustimmung zur Resolution ihrer Fraktion. Obwohl sie in weiten Passagen identisch mit dem Papier der Grünen war, fehlte hier u.a. die Forderung nach einem unabhängiger/n Antirassismusbeauftragte:n in Dortmund.

Die Mehrheit des Rates stimmte für die Resolutionen der Bezirksvertretung Nord und den Antrag der SPD. Außerdem war die Mehrheit gegen die Resolution der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Die AfD betreibt bzw. fordert im Rat eine Täter-Opfer-Umkehr

Matthias Helferich (AfD) sitzt nicht nur im Stadtrat, sondern mittlerweile auch im Bundestag. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Vor dem Tagesordnungspunkt „Tod von Mouhamed Lamine Dramé“, kam der Antrag „Solidarität mit unserer Polizei – Täter nicht zu Opfern machen“ der AfD-Fraktion zur Aussprache. Darin fordert sie, dass die Vorwürfe des „strukturellen Rassismus“ gegen die Polizei zurückgewiesen werden sollten und eine Vorverurteilung der betroffenen Polizisten zu unterlassen sei.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich garnierte das mit Vorwürfen und betrieb erneut eine Täter-Opfer-Umkehr:  So fabulierte er von einer immer „selbstbewussteren afro-muslimischen Parallelgesellschaft“, „leidvollen Alltagserfahrungen von Einheimischen mit Migrantengewalt“ und „deutschen Opfern fremder Täter“, die in Deutschland keine Lobby hätten.

Katrin Lögering (Fraktion 90/Die Grünen) Foto: Die Grünen Dortmund

Die Fassungslosigkeit vieler Ratsmitglieder brachte Katrin Lögering (Grüne) zum Ausdruck: „Wie unfassbar zynisch ist dieser Antrag. Wenn Sie nichtvergleichbare Fälle miteinander vergleichen, mit dem einzigen Zweck, People of Colour zu diskreditieren, dann hat es einen Grund: Der Grund ist Rassismus.“

„Ich bin ich  sehr sicher, dass kein demokratisch aufrichtiger Polizist in der Frage rund um den Tod von Mouhamed auf diesen miesen niederträchtigen Versuch der AfD reinfallen wird“, ergänzte Anna Spaenhoff (SPD). Der Rat stimmte mit großer Mehrheit gegen den Antrag der AfD.

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Emotionales Totengebet für Mouhamed D. in der Abu-Bakr-Moschee in der Nordstadt von Dortmund

 

Der Beitrag Der Rat diskutiert tödlichen Polizeieinsatz – aber nicht als Thema von besonderer Bedeutung erschien zuerst auf Nordstadtblogger.


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